Das Fest der Krokodile

Das Fest der Krokodile

von: Felix Mitterer

Haymon, 2013

ISBN: 9783709976388

Sprache: Deutsch

44 Seiten, Download: 756 KB

 
Format:  EPUB

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Das Fest der Krokodile



Morgendämmerung. Musik. Ein Lüftungsschlauch beginnt sich zu bewegen, setzt sich auf, steht auf, geht ratlos herum, legt sich wieder hin, dann kriecht Eva heraus, und zwar mit den Füßen zuerst. Sie ist ein kleines Persönchen mit buntem Sommerkleidchen, barfuß. Man hat ihr gewaltsam eine Glatze geschoren, Schorf, Schmutz und nachwachsender Flaum sind zu sehen. Sie schaut sich sitzend um, greift an ihren Kopf kriecht wieder in den Schlauch, kommt mit ihrer blonden Perücke (ein empor-getürmtes 60er-Jahre-Ding), ihren roten Stöckelschuhen und einer Handtasche zurück. Sie setzt die Perücke auf, rückt sie zurecht, zieht die Schuhe an, geht zum Plastikeimer, fährt mit spitzen Fingern hinein, spritzt sich etwas Wasser ins Gesicht, tätschelt sich die Wangen, fährt mit dem Zeigefinger ins Wasser, putzt sich mit dem nassen Finger die Zähne, spuckt aus, geht zum zerbrochenen Spiegel, holt Bürste aus ihrer Handtasche, frisiert sich, holt dann Schminkzeug hervor, beginnt sich schön zu schminken (sehr rot die Lippen, sehr blaue Lidschatten). Plötzlich hört man Stöhnen wie bei einer Geburt, ein weiterer Lüftungsschlauch bewegt sich rhythmisch dazu. Eva achtet in keiner Weise darauf, sie ist fertig, tritt zurück, schaut sich im Spiegel an, ist zufrieden, holt einen Deo-Spray aus ihrer Tasche, sprüht sich unter die Achselhöhlen und unter das Kleid, geht dann zum Plastikeimer, nimmt ihn, schüttet fast das ganze Wasser in eine Gießkanne, geht damit zur Blume, beginnt sie ausgiebig zu gießen, trällert ein Liedchen dazu. Ein dritter Lüftungsschlauch bewegt sich, steht auf, geht zur Seite, ein Prasseln ist zu hören. Eva singt etwas lauter, um das Prasseln und Gestöhne etwas zu übertönen. Der Lüftungsschlauch kommt wieder zurück, zwei Hände umfassen den unteren Rand, ziehen den Schlauch hoch, entfernen ihn über den Kopf. Hubertus kommt zutage. Er trägt einen Frack mit dazupassendem Hemd und Fliege. Hubertus macht sich die Hosentüre zu, geht zum Wassereimer, greift hinein, sieht, daß fast kein Wasser mehr drin ist, schaut sich um, sieht Eva, schaut strafend zu ihr, schüttelt den Kopf. Sie bemerkt das aus den Augenwinkeln, tut, als wäre nichts, stellt die Gießkanne neben sich ab (Hubertus soll das nicht sehen), kniet sich hin, beginnt um die Blume Unkraut zu jäten. Hubertus nimmt den Eimer, läßt den letzten Rest Wasser in seine hohle Hand rinnen, macht den Rock auf, fährt sich an die linke Achselhöhle, gibt das Wasser auf die linke Hand, befeuchtet auch die rechte Achselhöhle, fährt sich mit beiden Händen über die Haare, macht — aber nur flüchtig und andeutungsweise — drei Kniebeugen mit ausgestreckten Armen, hängt sich ein Fernglas um, setzt seinen Zylinder auf, steigt zum Trümmergrat hinauf, legt sich hin, sucht die Landschaft mit seinem Fernglas ab, steigt wieder herunter, geht zum Feldtelefon, kurbelt, nimmt den Hörer. Musik aus.

HUBERTUS: (spricht hinein) Mayflower eins ruft die Garde! Mayflower eins ruft die Garde! Die Krokodile lauern hinter der Düne! Wann besucht ihr uns endlich? Der Kaffee wird kalt! Bitte melden, bitte melden! Ich gebe noch einmal die Koordinaten durch: 27, 11, 43, 12 Uhr mittags. 27, 11, 43, 12 Uhr mittags. Bitte melden! Mayflower eins ruft die Garde! Hallo! Hallo! (Er legt resigniert auf.) Die werde ich alle zur Verantwortung ziehen, alle! Schweinerei! (Er steigt wieder zum Trümmergrat hinauf, beobachtet erneut die Umgebung mit dem Fernglas.)

Das Preßwehen-Gestöhne hört urplötzlich auf, der Kopf von Tini erscheint an ihrer Schlauchöffnung.

TINI: Beinah eine Frühgeburt. Der Kopf war schon heraußen. (Tini kriecht aus dem Schlauch, steht auf, hält ihre Oberschenkel zusammengepreßt, damit das Kind nicht aus dem Leib rutschen kann. Tini ist ein etwas verschlampter Mutter-typ mit sehr großen Brüsten und sehr breiten Hüften, hochschwanger. Sie trägt ein Mutterkleid mit Mutterkleiderschürze, wie bei Müttern üblich. Sie setzt sich hin und zieht sich — immer mit zusammengepreßten Oberschenkeln — hohe Mutterschnürschuhe an.) Da wäre dann eine Nottaufe angesagt gewesen. Weil wir haben ja keinen Brutkasten. Obwohl es hier eine Bruthitze hat. Waren ja alles Frühgeburten, meine Kinder. Immer zu früh auf die Welt. Eins habe ich direkt beim Erdäpfel-Aufklauben verloren. Weil mein Seliger hat gesagt, du tust arbeiten, ich tu auch arbeiten, mit meinem Kreuz. Aber wenn man die Oberschenkel zusammenpreßt, geht das schon.

EVA: (steht auf sehr freundlich) Guten Morgen, Frau Tini!

TINI: Jaja, schon gut.

EVA: (geht zu ihr) Das wird wieder ein schöner, sonniger Tag heute, wie, Frau Tini?

TINI: (steht auf) Eine Bruthitze wird das. Was ich hier zusammenschwitze, grauenhaft. Überall rinnt mir der Schweiß zusammen. Nein, für diese Gegend ist mein Körperbau nicht geeignet. Ach, wäre ich doch bei mir daheim, im Kuchl-Zimmer-Kabinett. So schön kühl, feucht und kühl. Mein Butzi leidet ja auch. Wie ein Hund.

EVA: (schaut auf Tinis Bauch) Jaja, das Butzi.

Eva steht seitlich von Tini, tut, als wäre nichts, fährt plötzlich mit einer Hand zurück, legt sie auf den Bauch von Tini, diese schlägt ihr auf die Hand, Eva zieht sie schnell zurück, bläst auf die Stelle wie ein Kind auf eine Wunde.

TINI: Fräulein Eva, wie oft soll ich Ihnen noch sagen, Sie sollen das bleibenlassen?

EVA: Entschuldigung, Frau Tini.

TINI: Sie haben ja Ihre Staude da drüben, was belästigen Sie mein Butzi?

EVA: Entschuldigung. Wird nicht mehr vorkommen.

TINI: Sie fassen mein Butzi nicht an, Sie nicht.

Eva wendet sich traurig ab.

TINI: So, jetzt freue ich mich aber auf einen guten Kaffee. (Schaut sich um, sieht Hubertus.) Guten Morgen, Herr Hubertus.

HUBERTUS: Guten Morgen, Frau Tini.

TINI: Tun Sie bitte die Platte mit Strom versorgen, Herr Hubertus? Weil ich kann nicht, mit meinen zusammengepreßten Oberschenkeln. Und das Fräulein Eva ist sich ja offenbar zu gut dazu.

EVA: (weinerlich) Das ist nicht sehr nett, was Sie da sagen, Frau Tini. Schaun Sie sich das bitte an! (Zeigt ihr die Fußknöchel.) Ganz blutige Knöchel! Ganz blutig! Sehen Sie das? Wovon kommt denn das, frage ich Sie, Frau Tini?

TINI: Stöckelschuhe ausziehen, Fräulein Eva, dann rutschen Sie nicht von den Pedalen.

EVA: Schaun Sie sich das an, Herr Hubertus, schaun Sie sich meine Knöchel an. Damit soll ich heute auf den Regimentsball gehen! Mit blutigen Knöcheln auf den Regimentsball! Das ist doch peinlich. Was denken sich die Leute! (Weint fast.) Nicht einmal eine blickdichte Strumpfhose habe ich mehr!

HUBERTUS: (kommt herunter) Frau Tini, da braucht keiner zu treten, weil wir haben kein Wasser mehr.

Tini schaut ihn an, geht mit zusammengepreßten Oberschenkeln zum Eimer, schaut hinein, schaut empört Eva an, stützt die Fäuste in die Hüfte.

EVA: Mein Blümchen verdurstet! Das geht doch nicht! Ich liebe mein Blümchen! Und ihr solltet es auch lieben. Es ist das einzige, weit und breit! (Schaut zur Blume.) Das einzige.

TINI: So, Fräulein Eva! Jetzt nehmen Sie den Kübel und gehen zum Fluß hinunter.und holen Wasser! Oder soll ich das machen, mit meiner Frühgeburt?

EVA: (charmant) Herr Hubertus, seien Sie ein Sir!

HUBERTUS: (schaut auf seine Taschenuhr) Gleich geht’s los!

Eva und Tini kriechen in ihre Schläuche, Hubertus wartet noch mit der Taschenuhr in der Hand.

TINI: (während des Hineinkriechens) Die mit ihrer Pflanzenliebe! Der Mensch braucht einen Kaffee am Morgen! Was, mein Butzi?

Drüben werden Granaten abgefeuert und explodieren in der Nähe. Hubertus kriecht auch in seinen Schlauch. Über den Trümmergrat werden zwei Reisetaschen und ein Koffer hereingeworfen, dann erscheint an einem Regenschirm eine weiße Fahne (ein Unterleibchen), wird geschwenkt. Andreas lugt herein, schaut sich um, klettert herein, wirft sich unter Trümmern in Deckung. Er trägt Sandalen, Shorts, Leibchen, Sonnenkappe, Sonnenbrillen, hat Tasche und Videokamera umhängen. Er nimmt die Kappe ab, wischt sich über die Stirn, schaut sich um. Nach einer Weile hört das Bombardement auf, Andreas lauscht, holt dann eine Landkarte aus seiner Umhängetasche, schaut darauf, steigt zum Trümmergrat, schaut sich um, schaut auf die Landkarte. Hubertus, Tini und Eva kriechen wieder aus ihren Schläuchen.

TINI: Da soll man nicht eine Frühgeburt bekommen. (Nach unten:) Beruhige dich, Butzi, ist schon vorbei. Die tun jetzt frühstücken. Vor dem Frühstück tun die immer ein paar herüberpfeffern. Aber eh nur pro forma.

Hubertus und Eva sehen Andreas, der sie...

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