Kummer ade! - Roman über einen humoristischen Kriminalfall

Kummer ade! - Roman über einen humoristischen Kriminalfall

von: Alois Brandstetter

Residenz Verlag, 2013

ISBN: 9783701743575

Sprache: Deutsch

128 Seiten, Download: 973 KB

 
Format:  EPUB

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Kummer ade! - Roman über einen humoristischen Kriminalfall



Vorleben, Ministranten. Während ich darüber nachdenke, wie ich der Polizei bei der Ausforschung des Kummerkastendiebes mit meinen bescheidenen kriminellen und kriminalistischen Lebenserfahrungen helfen könnte, brachte mir am Sonntag, dem 21. Oktober 2012, in der Bahn der Schaffner die Zeitung ÖSTERREICH und ich las zu meiner Verblüffung und Bestätigung eine Überschrift in fünf Zentimeter hohen Buchstaben: SÄNGERKNABE ERSCHLÄGT STUDENTIN. Ein Sängerknabe, eigentlich ein gewesener Sängerknabe, müßte es korrekterweise heißen, da der 26jährige Christopher L. aus Ebreichsdorf im Knabenchor so lange nach dem Stimmbruch nicht mehr singen konnte, übertrifft natürlich jeden Ministranten. Ministrant war bald einer, selbst sozialistische Bundeskanzler und Leiter des Parlamentsclubs sind einmal Ministranten gewesen, wie es in ihren Biographien steht und womit sie in Wahlkämpfen auch gern Reklame machen, um auch kirchlich gesinnte Menschen anzulocken, Sängerknabe aber nicht, denn dazu braucht es ganz besondere Voraussetzungen und das Bestehen einer schweren Aufnahmeprüfung. Ich weiß es, weil ich bei einer solchen Aufnahmeprüfung für den Chor des Kollegium Petrinum bei dem berühmten Kirchenmusiker Hermann Kronsteiner in Urfahr durchgefallen bin. So wie ich sechs Jahre später bei der Aufnahmeprüfung an der Akademie der bildenden Künste in Wien durchgefallen bin. Dort ist übrigens exakt 50 Jahre früher, im Jahr 1907, ein Aspirant und Anwärter aus Braunau in Oberösterreich durchgefallen und man hat später dem Akademieprofessor und rigorosen Vorsitzenden der Prüfungskommission Karl Kriepenkerl, jenem berühmten Lehrer, in dessen Meisterklasse so bedeutende Maler wie Egon Schiele, Anton Faistauer und Josef Dombrowski gelernt haben, indirekt den Vorwurf gemacht, daß er am ganzen Elend und Unglück des 20. Jahrhunderts, das jener als Künstler gescheiterte junge Mann später in der Politik als Schwerstverbrecher heraufbeschworen und angerichtet hat, eigentlich mit schuld sei. Was natürlich absurd ist. Einer der erfolgreichen Prüflinge bei der Aufnahmeprüfung im Jahre 1907 war übrigens der erwähnte Josef Dombrowski, der später selbst als Kriepenkerl-Schüler Akademieprofessor wurde. Er saß noch bei meinem Prüfungstermin 1957 in der Prüfungskommission. Bei ihm hätte ich, so sehr ich ihn auch als Künstler schätze, aber nicht mehr studieren können, weil er als Lehrer schon in Pension und Emeritus war. Gern hätte ich mich zu seinen Schülern gezählt wie etwa Alfred Hrdlicka oder mein verstorbener Freund Josef Mikl, der Meister des österreichischen Informel. Ich bin dann Germanist, Philologe und Schriftsteller geworden, was sich im nachhinein als gute zweite Wahl herausgestellt hat … Josef Mikl hätte mich übrigens Jahre später, nach dem Tod des Kunstwissenschaftlers und Lehrers der Ästhetik, des Jesuitenpaters Alfred Focke, der im Jahr 1983 auf mysteriöse Weise bei einer Bergtour umgekommen ist, gern als dessen Nachfolger an der Akademie für Lehrveranstaltungen über das Verhältnis der Künste zueinander, vor allem über das Verhältnis bildende Kunst und Literatur gesehen. Auch daraus ist nichts geworden. Ich bin weder Sänger im Petrinerchor noch Kunststudent noch Akademieprofessor am Schillerplatz geworden, und obwohl man mir nicht immer wohlwollend mitgespielt hat und ich einiges an Kummer und Beschwerden in Kummerkästen abladen hätte können, kann ich doch, ohne mich zu rühmen, sagen, daß ich nicht verbittert und verbiestert bin. Ich male, schreibe vor mich hin und singe, wenn auch in keinem Chor. Ich singe nicht, ich singe mit – bei den Kirchenliedern für das einfache Volk … Es gibt aber durchaus Wunden, an denen man wahrscheinlich noch am Totenbett leckt. Und im Traum tritt man außerdem auch als alter Mann immer wieder einmal bei Mathematik-Maturaprüfungen, bei Aufnahmeprüfungen oder Fahrprüfungen an und erwacht, durchgefallen und schweißgebadet. Bei meiner Fahrprüfung habe ich es übrigens zu einer »Nachprüfung« gebracht. A und B, das heißt PKW und Motorrad, habe ich auf Anhieb bestanden, zur praktischen Traktorprüfung für den Führerschein F mußte ich ein zweites Mal antreten. Mein »Lieblingsalbtraum« ist freilich, daß ich bei einer meiner Lesungen nicht mehr artikulieren kann, daß mir die Zunge schwer wird und ich nur noch lalle und daß sich die Zuhörer kopfschüttelnd entfernen und die Reihen lichten, bis ich allein am Podium sitze … Einmal habe ich aber auch schon vom Jüngsten Gericht geträumt und es hat leider auch da nicht gut für mich ausgeschaut …

Eigene Schriftsteller-Kummerkästen gibt es ja nicht, aber an besonderen Schriftstellersorgen besteht wahrlich kein Mangel. Sie werden den Autoren bereitet von fehlenden Lesern, knausrigen Verlegern und hochmütigen Kritikern. Letzteren verdanke ich einige ordentliche »Verrisse«. Womöglich noch schlimmer als der Verriß ist bekanntlich die Ignoranz. Ein berühmter Schriftstellerkollege hat einmal den denkwürdigen Satz gesagt: »MRR bespricht mich, also bin ich«, in Anlehnung und Anspielung an Descartes’ »Cogito ergo sum«. Wenn dies stimmt und wenn auch der Umkehrschluß gilt, dann gehöre ich mit vielen anderen zur Gruppe der nichtexistenten Schriftsteller. Der unfehlbare Literaturpapst bespricht mich nicht. Das kommt einer Exkommunikation gleich … Der große französische Historiker Georges Duby hat sich einmal gegen die Bezeichnung »Historikerpapst« verwahrt, weil er ein dezidierter Gegner des Papsttums sei. Vielleicht hat auch MRR den polnischen Papst nicht gemocht? Wie die Päpste im Altertum hat er freilich manchem Autor ein »Anathema sit!« zugezischt. Aber wenn er in der Sendung »Literarisches Quartett« einen freundlichen Satz über ein Buch gesagt hat, hat das dem Buch gleich am darauffolgenden Tag zwei neue Auflagen beschert. Die Deutschen sind eben doch ein autoritätsgläubiges Volk. Sie wollen Führung! Sie wollen gesagt bekommen, »wo’s langgeht«!

Übrigens, das Beschweren und das bekümmerte Klagen hat es schon lange vor der demokratischen Einführung von Kummerkästen und Bürgerinitiativen, Volksbegehren und Unterschriftenaktionen und vor den bestallten Ombudsmännern des Parlaments und der Zeitungen gegeben. Das Klagen und Jammern ist in der Religion mindestens so verbreitet wie das Bitten und Danken, das Preisen oder Rühmen. Nicht nur einmal wird in kirchlichen Texten auf biblischer Grundlage die Erde als ein »Jammertal« und »Tal der Tränen« bezeichnet. Im alten Staffel- oder Stufengebet vor dem Introitus, dem »Eingang« der Messe, haben abwechselnd Priester und Ministranten aus den Psalmen, den »Klagepsalmen«, insbesondere dem Psalm 42, vor- und nachgebetet: »Schaff Recht mir, Gott, und führe meine Sache gegen ein unheiliges Volk; vor frevelhaften, falschen Menschen rette mich.« Darauf antworten die Ministranten: »Gott, Du bist meine Stärke. Warum denn willst Du mich verstoßen? Was muß ich traurig gehen, weil mich der Feind bedrängt?« Dann freilich kommt der wunderbar gestaltete Umschwung und der Ausdruck der Zuversicht und des Zutrauens, eingeleitet mit einer Bitte: »Send mir Dein Licht und Deine Wahrheit, daß sie zu Deinem heiligen Berg mich leiten und mich führen in Dein Zelt.« Darauf der Priester: »Dann will ich Dich mit Harfenspiel lobpreisen, Gott, mein Gott. Wie kannst du da noch trauern, meine Seele, wie mich mit Kummer quälen?« »Quia conturbas me?« fragt der Psalmist in lateinischer Sprache: »Warum beunruhigst du mich? Warum bekümmerst du mich? Warum bereitest du mir Kummer?« Diese Wendung von der Verzweiflung zur Hoffnung nimmt auch Johann Friedrich Neumann, der Textdichter der wohl populärsten deutschen Messe, der von Franz Schubert vertonten »Missa germanica«: »Wohin soll ich mich wenden, wenn Gram und Schmerz mich drücken? Wem künd ich mein Entzücken, wenn freudig pocht mein Herz?« Die Lösung: »Zu Dir, zu Dir, o Vater, komm ich in Freud und Leiden. Du sendest ja die Freuden, Du heilest jeden Schmerz.« Glücklich der Mensch, der da einstimmt, daß nicht nur der Mund, sondern auch und vor allem das Herz mitsingt und mitschwingt! Von Interesse ist in diesem Zusammenhang, daß das Wiener Erzbischöfliche Konsistorium anfangs Bedenken und Einwände gegen Schuberts »Deutsche Messe« hatte, weil sie ihm den sozusagen traurigen, melancholischen, »romantischen« Menschen zu sehr in den Mittelpunkt und das Göttliche gewissermaßen hintanstellte. Die Hierarchie hatte mehr Freude an Michael Haydns, des auch von Schubert hochverehrten Meisters, Messe: »Hier liegt vor Deiner Majestät im Staub die Christenschar, das Herz zu Dir, o Gott, erhöht, die Augen zum Altar« … Und doch hat sich Schuberts »Deutsche Messe« glorreich durchgesetzt. Als Ausdruck dieser bis heute ungebrochenen Beliebtheit kann gelten, daß sie sich der österreichische Bundespräsident Rudolf Kirchschläger für sein Requiem im Wiener Stephansdom gewünscht hat. Die Schubert-Messe hat übrigens neben der bekannten...

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