Schlaglicht Augenheilkunde: Kinderophthalmologie

Schlaglicht Augenheilkunde: Kinderophthalmologie

von: Gerhard K. Lang, Gabriele E. Lang

Georg Thieme Verlag KG, 2015

ISBN: 9783132030619

Sprache: Deutsch

456 Seiten, Download: 20458 KB

 
Format:  EPUB, PDF, auch als Online-Lesen

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Schlaglicht Augenheilkunde: Kinderophthalmologie



1 Hornhaut


1.1 Hornhaut-Schlüsselbefunde im Kindesalter als Hinweis für therapierbare systemische Stoffwechselerkrankungen


Therapy for Systemic Metabolic Disorders Based on the Detection of Basic Corneal Landmarks in Childhood

W. Lisch 1 , S.Pitz 1 , G. Geerling 2

1 Augenklinik und Poliklinik, Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg Universität Mainz

2 Augenklinik, Universitätsklinikum Düsseldorf

Zusammenfassung

Es gibt eine Reihe von systemischen lysosomalen Stoffwechselerkrankungen, bei denen bereits im Kindesalter krankheitsspezifische Hornhauttrübungen zu beobachten sind. Unter Lysosomen verstehen wir winzige Zellorganellen, die vom Golgi-Apparat gebildet werden. Sie enthalten verschiedene hydrolytische Enzyme und Phosphatasen, womit Fremdstoffe oder körpereigene Stoffe verdaut werden können. Die richtige Einordnung der Hornhautveränderung durch den Augenarzt an der Spaltlampe kann zur richtigen Diagnose der jeweiligen systemischen Stoffwechselerkrankung führen. Eine möglichst frühe Diagnosestellung ist aktuell besonders bedeutend, da heute einem Großteil der Patienten mit einer Speicherkrankheit durch die entsprechende Enzymtherapie ganz entscheidend geholfen werden kann. Es werden folgende Hornhaut-Schlüsselbefunde vorgestellt, mit Hinweis auf die spezifische Therapie nach eindeutiger Festlegung der systemischen Entität: Cornea verticillata bei Morbus Fabry, regelmäßige Infusionstherapie mit Alpha-Galaktosidase A; Kayser-Fleischer-Ring bei Morbus Wilson, Zink, Trientin, kupferarme Diät; multiple, punktförmige Kristalle bei Zystinose; Cysteamin, Raptor RP 103 (DR Cysteamin), womit die Zytotoxität verringert wird, indem es kontinuierlich Cystin aus dem Lysosom entfernt, Nierentransplantation, hämatopoietische Stammzellentransplantation; peripherer Ring, jedoch kein Arcus lipoides in Kombination mit einer schwach-diffusen Stromatrübung bei LCAT-Mangel, Injektionen von rekombinanten Enzym oder von verkapselten Zellen, die LCAT sezernieren; diffuser stromaler Haze bei Mucopolysaccharidosen (MPS) – MPS I, II und VI sind die ersten Mucopolysaccharidose-Typen, für die eine Enzymersatztherapie zur Verfügung steht, hämatopoietische Stammzellentransplantation; schmerzhafte, beiderseitige pseudodendritische Hornhauttrübungen bei Tyrosinämie Typ II (Synonym: Richner-Hanhart-Syndrom), phenylalanin- und tyrosinarme Ernährung führt innerhalb von wenigen Tagen zu einem kompletten Verschwinden der Hornhautveränderungen mit konsekutiver okulärer Beschwerdefreiheit. Diese Diät muss regelmäßig und über das ganze Leben strikt eingehalten werden, um Hornhautrezidive sowie Palmo-Plantarkeratosen zu verhindern, kann aber über Jahrzehnte eine sonst normale Lebensführung gewährleisten.

Abstract

Many systemic lysosomal storage disorders show basic corneal opacities already in childhood. The lysosome is a cell organelle, produced by Golgi′s apparatus, that is surrounded by a membrane and contains hydrolytic enzymes that break down food molecules, especially proteins and other complex molecules. The ophthalmologist′s precise diagnosis of corneal clouding at the slit-lamp may reveal the correct interpretation of the specific lysosomal storage disorder. It is very important to diagnose such diseases as soon as possible because today the development of systemic enzymatic therapies has broadened the therapeutic armamentarium for the current standard of care. The following corneal landmarks of systemic storage diseases and of the modern systemic therapy are presented: cornea verticillata in Fabry′s disease, periodic infusion of alpha-galactosidase a; Kayser-Fleischer′s ring in Wilson′s disease, zinc, trienetin, low copper diet; multiple, punctiform crystals in cystinosis, cysteamine, Raptor RP 103 (DR cysteamine) that reduces the cytotoxity in form of continous dissolving of cystine from lysosome, renal transplantation, haematopoietic stem cell transplantation; peripheral ring, but not true lipid arc, and moderate stromal haze in LCAT-deficiency, injection of recombinant enzyme or of encapsulated LCAT-secreting cells; diffuse stromal haze in mucopolysaccharidoses (MPS). Enzyme replacement therapy is currently indicated for MPS I, MPS II, and MPS VI, haematopoietic stem cell transplantation; painful, bilateral pseudo-dendritic opacities in tyrosinemia type II (eponym: Richner-Hanhart syndrome), low phenylalanine and tyrosine diet result in complete disappearance of corneal alterations with a consecutive painfree period. Strict diet during the whole life is necessary to prevent corneal recurrences and the occurrence of palmo-plantar keratoses. Such therapies can enable the patient to lead an otherwise normal life for decades.

1.1.1 Einleitung


Die aus mehreren Schichten aufgebaute transparente, avaskuläre Hornhaut imponiert als glasklares Fenster des Auges, das der Augenarzt spaltlampenmikroskopisch auf feinste Unregelmäßigkeiten oder Trübungen untersuchen kann. Bereits im Kindesalter sind meist bilaterale, charakteristische Trübungsmuster der Hornhaut zu erkennen, die entweder als eine rein korneale Erkrankung im Sinne einer Hornhautdystrophie oder aber als wichtiges Indiz im Sinne einer systemischen, lysosomalen Stoffwechselerkrankung bzw. Speicherkrankheit einzuordnen sind ▶ [1]. Die verschiedenen Formen von Hornhautdystrophie, aber auch die typischen systemischen Hornhautbefunde können mit attackenartigen Beschwerden infolge rezidivierender Epitheldefekte der Hornhaut assoziiert sein. Der Augenarzt kann durch die richtige Einordnung eines Hornhautbefundes beim Kind mit Hinweis auf eine systemische Stoffwechselerkrankung eine entscheidende Hilfestellung nicht nur für den kleinen Patienten, sondern für die gesamte Familie erbringen. Die zu besprechenden Krankheitsbilder unterliegen unterschiedlichen Erbgangsmodalitäten, wie autosomal-rezessiver, dominanter oder X-chromosomaler Vererbung. Gerade in den letzten Jahren konnten für einige systemische erbliche Stoffwechselerkrankungen Therapien entwickelt werden, welche die Krankheitssymptome, den Verlauf und die Lebenserwartung der betroffenen Patienten erheblich verbessern können. Die modernen gentechnischen Verfahren haben es ermöglicht, jedes gewünschte Enzym in nahezu unbegrenzter Menge zur therapeutischen Anwendung herzustellen ▶ [2].

Eine Cornea verticillata bei Patienten beiderlei Geschlechts weist auf einen X-chromosomal-dominant vererbten Morbus Fabry hin. Die wichtige anamnestische Befragung kann z. B. ergeben, dass der Vater des Mädchens an „rheumatischen“ Beschwerden im Bereich der Arme und Beine leidet, die zu einer Frühberentung geführt haben. Die angegebenen Beschwerden sind nun in die bekannte Symptomatik des Morbus Fabry einzuordnen. Bei der zu erfolgenden ophthalmologischen Untersuchung kann auch beim Vater eine Cornea verticillata an der Spaltlampe diagnostiziert werden. Neben einer ausführlichen genetischen Beratung ist sofort mit der hier infrage kommenden Enzymbehandlung bei allen betroffenen Familienmitgliedern zu beginnen.

Beiderseitige, linienförmige epitheliale Trübungen der Hornhaut, z. B. bei einem Säugling, verbunden mit starken Schmerzen, können im Sinne einer herpetischen Erkrankung fehlgedeutet werden. Bei beidseitigem Befall sollte immer auch an eine systemische erbliche Stoffwechselstörung im Sinne einer autosomal-rezessiv vererbten Tyrosinämie Typ II gedacht werden, die auch als Richner-Hanhart-Syndrom bezeichnet wird. Bei positivem Nachweis der ophthalmologischen Verdachtsdiagnose vonseiten des Pädiaters können die okulären Beschwerden durch eine tyrosinarme Ernährung innerhalb weniger Tage völlig zum Verschwinden gebracht werden. Diese spezielle Ernährung muss lebenslang eingehalten werden, wobei in den ersten 2 Lebensjahrzehnten die konsequente und energische Compliance der Mutter des jungen Patienten von entscheidender Bedeutung ist.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit werden 6 Entitäten vorgestellt, bei denen bereits im Kindesalter der charakteristische Hornhautbefund den Augenarzt in die Lage versetzt, einen wesentlichen Beitrag bei der Diagnosefindung zu leisten und damit aktuelle Behandlungsstrategien zu ermöglichen, welche die teilweise schwere klinische Allgemeinsymptomatik erheblich verbessern können.

1.1.2 Cornea verticillata bei Morbus Fabry (OMIM 301500; Xq 22)


Morbus Fabry ist eine X-chromosomal-dominante Erkrankung, die auf dem genetisch bedingten Defekt des lysosomalen Enzyms Alpha-Galaktosidase A beruht ▶ [3]. Dieses ist ein für den Stoffwechsel wichtiges Enzym, welches für den Abbau der Sphingolipide, insbesondere Ceramidtrihexdosid, verantwortlich ist. Es gibt keine Vererbung von Vater auf Sohn. Erkrankte Väter geben das defekte Gen an alle Töchter weiter. Diese heterozygoten Trägerinnen können behandlungsbedürftige Fabry-Beschwerden entwickeln. Sie tragen ein 50-prozentiges Risiko, das defekte Gen an ihre Nachkommen weiterzugeben. Söhne, die das Gen von der Mutter erben, erkranken in jedem Fall. Töchter werden zumindest Trägerinnen des Gens sein und können das Vollbild der Erkrankung aufweisen, u. a. auch eine Cornea verticillata. Die Krankheitshäufigkeit wird heute mit 1: 3100 angegeben. Im Vergleich hierzu sind nur relativ wenige Patienten in augenärztlicher Betreuung, sodass eine hohe Dunkelziffer zu postulieren ist.

1.1.2.1 Allgemeinsymptome in der...

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