Sinne, Gedanken, Gefühle - Unser Gehirn wird entschlüsselt

Sinne, Gedanken, Gefühle - Unser Gehirn wird entschlüsselt

von: Brigitte Röthlein

dtv, 2002

ISBN: 9783423330817

Sprache: Deutsch

236 Seiten, Download: 664 KB

 
Format:  PDF, auch als Online-Lesen

geeignet für: Apple iPad, Android Tablet PC's Online-Lesen PC, MAC, Laptop


 

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Sinne, Gedanken, Gefühle - Unser Gehirn wird entschlüsselt



Gedächtnis (S. 111-112)

Erinnerung, die Welt in unserem Kopf

Wir nennen es Gedächtnis. Es ist eine Welt in unserem Kopf, die von der äußeren Welt erschaffen wird. Oder ist es nicht eigentlich umgekehrt: Erschaffen wir aus unserem Gedächtnis heraus unsere äußere Welt? Der berühmte Filmregisseur Luis Bunuel schrieb einmal: »Man muss erst beginnen, sein Gedächtnis zu verlieren, und sei's nur stückweise, um sich darüber klar zu werden, dass das Gedächtnis unser ganzes Leben ist. Ein Leben ohne Gedächtnis wäre kein Leben ... Unser Gedächtnis ist unser Zusammenhalt, unser Grund, unser Handeln, unser Gefühl. Ohne Gedächtnis sind wir nichts.«

Das Geheimnis, das dahinter steckt, beschäftigt Gelehrte schon seit Jahrhunderten: Wie wird die Welt in unserem Kopf gespeichert? Als die Computer in den letzten 25 Jahren einen gewaltigen Aufschwung erlebten, glaubten viele Forscher, das menschliche Gedächtnis müsse ganz analog zum »Gedächtnis« - also dem Speicher - eines Computers aufgebaut sein. In der Tat gibt es auch eine ganze Reihe von Analogien:

• Im entwicklungsgeschichtlich ältesten Teil des Gehirns, dem Stammhirn, sind die Informationen genetisch gespeichert, die für unsere Lebenserhaltung nötig sind, also für Atmung, Kreislauf und Stoffwechsel. Dieser Teil ist unabhängig von den anderen Bereichen funktionsfähig. So wird beispielsweise bei einer Narkose das Groß- und Zwischenhirn betäubt, das Stammhirn arbeitet jedoch weiter. Das ist auch gut so, sonst würde der Patient die Narkose nicht überleben. Computertechnisch gesehen entspricht dieser Teil des Gehirns einem Festwertspeicher (ROM).

• Das Zwischenhirn ist der nächstjüngere Teil des Gehirns. Es ist verantwortlich für Instinkte und angeborene Erfahrungen, die seit Tausenden von Generationen im Lauf der Evolution entwickelt wurden. Mit anderen Worten heißt das, das Zwischenhirn besitzt Programme für Standardsituationen, entspricht also im elektronischen Sinn etwa einem Betriebssystem.

Der Teil des Gehirns, der sozusagen frei programmierbar ist, ist das Großhirn. In ihm erfolgt - in Zusammenarbeit mit anderen Teilen - der Vorgang des Lernens, und in ihm ist das Gedächtnis zu suchen. In unserer Computerentsprechung wäre das also die Festplatte.

Friss deinen Professor

Wie aber können Informationen im Gehirn gespeichert werden, fragte man sich. Elektrische Impulse allein können es nicht sein, denn selbst eine Person, deren elektrische Hirntätigkeit völlig ausgesetzt hatte, verfügt nach ihrer »Wiedererweckung« noch über ihr altes Gedächtnis. Unter diesen Umständen müssten aber elektrische Informationen gelöscht sein.

Deshalb glaubte man lange Zeit, dass es sich bei der Fixierung von Informationen im Gedächtnis um eine chemische Speicherung in Form von besonderen Eiweißmolekülen handelt. Insbesondere Versuche mit Ratten, die der Neurologe Karl Lashley 1920 begann und über viele Jahre hinweg verfolgte, schienen diese Theorie zunächst zu bestätigen. Er hatte Ratten dressiert und anschließend bestimmte Substanzen ihres Gehirns anderen, undressierten Ratten eingespritzt. Diese Tiere konnten daraufhin angeblich ebenfalls die Kunststücke ihrer dressierten Artgenossen.

Lashleys Versuche machten Schlagzeilen. Sprüche wie »Schlau durch Gedächtnispillen« oder »Friss deinen Professor« machten die Runde. Später ließen sich jedoch diese Ergebnisse nie mehr eindeutig nachvollziehen, Lashleys Theorie war damit nicht haltbar. Schauen wir doch einmal genau hin: Gedächtnis bezeichnet die Fähigkeit, eine bestimmte Leistung zu wiederholen. Während nun bei einem Computer der Speicherinhalt

durch feste Zahlenreihen beschrieben werden kann, ist das beim Menschen ganz anders. Erinnerungen sitzen eben nicht fest an einer Stelle der Großhirnrinde und lassen sich dort ablesen, sondern sie sind dem Gehirn auf eine viel kompliziertere, aber gleichzeitig auch flexiblere Art eingeprägt.

Erst seit einigen Jahren beginnen Wissenschaftler, diesem Geheimnis des Gedächtnisses wirklich auf die Spur zu kommen. Möglich wurde das erst, als man einzelne Zellen studieren konnte. Denn nun besaß man Methoden, die es erlaubten, die Verbindungsstellen zwischen den Nervenzellen, die Synapsen, genau anzuschauen. Was man fand, war aufregend genug: Man weiß heute, dass die Synapsen das Bindeglied zwischen der geistigen Welt der Bilder und der Hardware, also der greifbaren, messbaren Struktur des Gehirns bilden. Sie sind sozusagen das Fleisch gewordene Gedächtnis. Und man weiß: Wenn Botenstoffe in bestimmten Kombinationen auftreten, lösen sie Veränderungen aus, die dazu führen, dass ein Zellverband fähig ist, eine bestimmte Kombination von Impulsen, die angeregt wird, als schon mal erlebt zu erkennen.

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